Heilwerden bedeutet Versöhnung und Entspannung, aber auch das Zulassen von Verletzlichkeit, denn ohne Verletzlichkeit gibt es keine Lebendigkeit. Gesundheit oder Krankheit, aus welcher Warte wir auch schauen, sind kein Zustand, sondern ein Prozess, bei dem es darum geht, stets ins Gleichgewicht zu streben.
Heil zu werden bedeutet aber auch, sich seiner Vergänglichkeit und gleichzeitig seiner Unendlichkeit bewusst zu werden. Es ist das Erkennen, dass ich, jeder Einzelne, wir alle so wichtig wie ein Körnchen Sternenstaub sind, nicht mehr und nicht weniger.
Unsere Welt aber ist von Maßlosigkeit, Konkurrenzkampf und Gier durchdrungen. Ihre Heilsversprechen sind in unsägliche Narrative gekleidet, zum Beispiel das Narrativ des „Homo oeconomicus“, das uns zu einer rücksichtslosen Ausbeutung jeglicher Ressourcen geführt hat, oder das Narrativ des „Homo educandus“, das längst nicht nur junge Menschen zu Unmündigen degradiert. Die Kombination von beiden ergibt einen toxischen Nährboden für krankhafte Machtexzesse in Politik und Wirtschaft, Religion und Kultur.
Und diese scheinen omnipräsent; wir sind geradezu umgarnt von Strukturen, die vordergründig normal scheinen, bei genauerer Betrachtung aber von Gewalt durchdrungen sind – strukturelle Gewalt (3), so weit das Auge reicht.
Wir denken vielleicht, Pathologisches entstehe vornehmlich durch extreme Stressbelastungen wie brachiale Gewalt, Missbrauch und andere Grenzerfahrungen. Doch es fängt damit an, dass die Haltung, andere als Objekte zu behandeln, in die Norm geschrieben ist, sie ist Teil unserer systemischen Struktur geworden. Sie ist systemimmanent.
Sie zeigt sich in einer kollektiven Erfahrung von Zwang zum Funktionieren, von Sinnlosigkeit, von Ohnmacht, vom Gefühl, ausgeliefert zu sein, und hierbei lediglich Bedingungen und Erwartungen erfüllen, sich ständig bewähren zu müssen.
In deren Folge ergeben sich psychische Zustände wie das Gefühl, nicht gesehen zu werden; das Gefühl, getrennt und ausgegrenzt zu sein; das Gefühl, nicht zu genügen, etwas zu verlieren oder entbehren zu müssen; die Angst vor Bedrohung, vor den Konsequenzen eines allfälligen Widerstandes, Rückzug, Einsamkeit, Resignation …
Dies sind Verarbeitungsstrategien vulnerabler, sensitiver Seelen; noch weit häufiger sind Strategien wie die Zähne zusammenbeißen, hart und ignorant werden.
Über allem steht der Versuch, sich taub zu machen.
Die ganz große Gesundheitskrise besteht darin, dass viele zivilisierte Menschen den Zugang zu ihren tieferen Gefühlsschichten und genuinen Gedankenwelten aufgegeben haben und sich stattdessen von Indoktriniertem leiten lassen.